Vor Kurzem habe ich die Leitung des Competence & Career Centers an der Hochschule RheinMain übernommen. Ich wurde damit für meine ehemaligen Kolleginnen von der Kollegin zur Führungskraft und sie wurden zu Mitarbeiterinnen. Dementsprechend investiere ich gerade natürlich viel Energie und auch Zeit darin, diesen Rollenwechsel gut auszugestalten. Diese Woche habe ich einige Gespräche mit meinen ‚alten Kolleginnen‘/‘neuen Mitarbeiterinnen‘ geführt und dabei viel für mich mitgenommen.
Vorweg ein Kommentar auf der Meta-Ebene: Es fühlt sich ziemlich komisch an, über dieses Thema zu bloggen. Ich frage mich, warum ich dieses merkwürdige Gefühl habe, ja, mich sogar unwohl dabei fühle. Immerhin habe ich auch kein Problem damit, über meine fachlichen Learnings zu bloggen. Außerdem veröffentliche hier ja natürlich auch keine geheimen oder vertraulichen Informationen, sondern schreibe einfach nur darüber, wie ich vorgehe, was ich mache. Vielleicht, so habe ich mir überlegt, fühlt es sich komisch an, darüber öffentlich zu schreiben, weil irgendwo in mir der Satz schlummert, dass man entweder eine Führungsperson ist oder nicht. Dass das nichts ist, was man lernen kann. Klassisches ‚fixed mindset‘ nach Carol Dweck, würde ich sagen. Aber das ist nur ein kleiner Teil in mir (der gerade allerdings recht laut ist). Eigentlich bin ich der Überzeugung, dass man alles lernen kann, auch Führung. Growth mindset.
Dass man entweder eine ‚geborene Führungskraft‘ ist oder nicht, spiegelt sich aber – überspitzt formuliert – auch irgendwie in vielen Jobanzeigen wider, oder? Jobanzeigen, in denen steht, dass selbstverständlich Führungserfahrung vorausgesetzt wird. Da frage ich mich immer, auf welchen Stellen ich denn dann Führungserfahrung erst mal lernen kann? Ich selbst hatte das Glück, dass ich vor meiner Führungsstelle zumindest schon stellvertretende Führungserfahrung hatte und dass das ein ausreichendes Kriterium im Bewerbungsprozess war.
Vielleicht fühlt es sich aber auch komisch an, über dieses Thema zu bloggen, weil ich mich aus meiner Komfortzone herausbewege, wenn ich diese neue, diese andere Rolle einnehme.
Und schließlich noch ein letzter Grund auf der Meta-Ebene, bevor ich dann zum eigentlichen Thema komme. Vielleicht fühlt es sich auch komisch an, darüber zu bloggen, weil ich das, was ich bis jetzt gemacht habe, als ‚zu wenig‘ ansehe und das Gefühl habe, dass ich eigentlich doch noch viel, viel mehr machen müsste, um gut in die neue Rolle hineinzukommen. Weil ich vielleicht nicht geduldig genug mit mir bin und nicht anerkenne, dass das Ganze auch ein Wachsen und ein Reifen, ein Prozess ist. Letzten Endes möchte ich jetzt aber einfach gerne über meine Learnings in dieser Woche bloggen, genauso wie ich es bei den ganzen anderen fachlichen Inhalten auch immer mache.
Ich habe mich diese Woche wieder einmal ganz intensiv im Zuhören geübt. Das ist natürlich nichts, was für mich neu ist. Das habe ich in ganz, ganz vielen theoretischen Seminaren schon gehört, sei es im Rahmen meiner Ausbildungs Systemische Beratung, im Rahmen meiner Ausbildungs Schreibberatung, im Rahmen diverser Kommunikationsseminare, im Rahmen eines Seminars zum Thema ‚Achtsam führen‘, das ich letztes Jahr besucht habe. Aber bekanntlich ist Machen ja immer krasser als nur Reden (pun not intended). Deswegen war ich diese Woche wieder einmal sehr fasziniert von der Kraft, die Zuhören hat. Und natürlich fand ich es wieder einmal schwierig, nicht zu allem direkt meinen Kommentar dazuzugeben. Und sicherlich ist mir das mal besser und mal schlechter gelungen, aber im Großen und Ganzen bin ich zufrieden damit, wie es mir gelungen ist.
Ich habe allen Teammitgliedern im Voraus fünf Fragen geschickt: 1) Wie geht es dir gerade im Team? 2) Was würde Dir helfen, wenn es darum geht, dass ich jetzt nicht mehr Kollegin, sondern Leitung bin? 3) Was wünschst Du Dir von mir als Leitung und in Bezug auf unsere Zusammenarbeit? Was darf in unserer Zusammenarbeit gar nicht passieren? 4) Was kann ich tun, um Dich bei Deiner Entwicklung zu unterstützen? 5) Welche Bedingungen brauchst Du, um hier gut zu arbeiten?
Ich habe jede im Team darum gebeten, diese Fragen individuell im Voraus zu beantworten und die Notizen dazu ins Gespräch mitzubringen. Ich habe ausschließlich von allen ein positives Feedback bekommen, dass ich genau diese Fragen im Voraus geschickt habe. Ich glaube, ich habe damit die Erwartungen an mich sehr hoch gesetzt – ich habe sie aber auch genau richtig angesetzt. Ich muss mich selbst daran messen lassen, dass man mit mir sprechen kann, dass man mit mir in einen Dialog gehen kann, dass ich zuhöre, dass ich Zeit finde. Und ich glaube, dass genau das als Führungskraft selbstverständlich sein sollte
Ich weiß, dass erst die nächsten Wochen, die nächsten Monate zeigen werden, wie ernst es mir mit alldem ist. Wie ernst es mir mit dem ist, was ich allen im Gespräch gesagt habe – dass mir nämlich Feedback ganz wichtig ist und dass ich gerade in diesem Rollenwechsel so sehr auf Feedback von meinem Team angewiesen bin. Dass ich mich sehr über positives Feedback freue, aber auch über negatives, über konstruktives, über Veränderungswünsche. Natürlich weiß ich, dass ich es nicht allen recht machen kann. Das ist auch gar nicht mein Anspruch. Aber mein Anspruch ist es, streitbar zu sein. Mein Anspruch ist es, zu lernen, zu wachsen. Natürlich werde ich Führungsseminare besuchen. Natürlich habe ich zum Glück ein externes Coaching in diesem Prozess, was enorm wichtig ist. Aber letzten Endes kann ich die Rückmeldungen zu meinem Führungsverhalten nur vom Team selbst bekommen. Und ich habe ein großartiges Team. Ich habe ein Team, wo ich das Glück habe, dass ich alle schon kenne, dass ich alle schon als Kolleginnen kennen und auch schätzen lernen durfte. Ich weiß, dass es Reibungspunkte geben wird. Und die Reibungspunkte sind wichtig. Aber ich kann auf Vertrauen bauen. Und ich möchte reden. Reden ist für mich das wichtigste Instrument. Ich bin Sprachwissenschaftlerin. Ich habe Kommunikation zwischen Menschen erforscht. Ich weiß um die Macht des Wortes – auch wenn ich gleichzeitig weiß, wie unglaublich (!) pathetisch das klingt.
Eine Person aus dem Team meinte, dass ich als Führungskraft ein Leuchtturm sei. Ein Leuchtturm insofern, dass ich für das Team den Weg weise, aber auch auch Einzelnen eine Orientierungsfunktion biete. Ich weiß noch nicht genau, ob ich wirklich ein Leuchtturm bin oder ob mir dieses Bild nicht zu stark ist. Immerhin weiß auch ich nicht immer genau, wo es hingehen soll und ich möchte mit dem Team gemeinsam daran arbeiten, gemeinsam darüber nachdenken, wo es hingehen kann. Aber ich fand es ein schönes Bild. Ein Bild, an dem ich mich erstmal auch kognitiv abarbeiten muss, wo ich überlegen muss, ob es für mich passt oder eher nicht.
Eine andere Person aus dem Team gab mir mit auf den Weg, dass ich auf mich aufpassen soll. Ich habe wahnsinnig viele Termine gerade. Ich hetze wirklich von einem Meeting zum anderen. Ich mache Back-to-Back-Meetings, obwohl man das auf jeden Fall tunlichst vermeiden sollte. Die Kollegin meinte, dass ich nicht für das Team da sein kann, wenn ich nicht auf mich selbst aufpasse. Ja, das ist vielleicht erst einmal eine Plattitüde. Aber das ist etwas, was ich mir wirklich zu Herzen nehmen möchte. Auf der theoretischen Ebene predige ich Mental Health, predige ich, dass alle auf sich achten sollen, darauf achten sollen, dass es ihnen gut geht beim Arbeiten, dass sie Grenzen ziehen sollen. Und gleichzeitig lebe ich das nicht vor. Ich predige Wasser und trinke selbst Wein. Das funktioniert nicht. Und ich weiß, dass ich in der Leitungsposition nun eine Vorbildfunktion habe. Und wenn ich möchte, dass andere nach Feierabend keine Mails mehr checken, dass andere am Wochenende keine Mails schreiben, dass andere abschalten von der Arbeit, dann muss ich das selbst vorleben. Und ich glaube, das ist etwas, was mir sehr, sehr schwerfallen wird, weil ich das bislang nie wirklich gelebt habe. Während der Promotion nicht, dann kurz nach der Promotion für ca. ein halbes Jahr, bevor es dann direkt wieder weiter ging mit Publizieren und mit freiberuflicher Seminartätigkeit, einfach weil mir das Ganze so viel Spaß macht. Und natürlich frage ich mich, wo all das ‚Freizeitvergnügen‘, wo es aber doch auch einfach Arbeit ist. Das ist eine meiner Schwächen. Gleichzeitig weiß ich aber, dass ich hier ein Vorbild sein möchte und dass ich deswegen genau daran arbeiten muss. In diesem Sinne: Ich mache jetzt Wochenende, fahre zum Gartencenter und kaufe Blumen für den Balkon.