Ich hatte diese Woche drei Tage frei, hauptsächlich, um einige freiberufliche Seminare vorzubereiten. In diesem Zuge habe ich die Woche aber auch genutzt, um drei Bücher zu lesen, die z. T. schon länger auf meiner Lektüreliste standen und die ich in diesem Blogbeitrag gerne vorstellen möchte.
Zunächst aber ein Learning, das ich im Kontext der Vorbereitung eines freiberuflichen Seminars hatte: Im Mai gestalte ich für das Hochschuldidaktische Netzwerk Mittelhessen ein Präsenz-Seminar mit dem Titel „Hochschuldidaktische Grundlagen: Begriffe, Konzepte & Co.“. Ich mache für das HDM schon die Schreibwerkstatt für das Lehrportfolio. Hier zeigte sich in der Vergangenheit, dass die Teilnehmenden oft gar nicht über das ‚begriffliche Rüstzeug‘ für das Verfassen des Portfolios verfügen. Deshalb nun also dieses neue Seminar. Hier sollen die TN u. a. zentrale Begriffe der Hochschuldidaktik von „A“ wie „Advance Organizer“ über „K“ wie „Kompetenz“ bis „Z“ wie „(Lern)Zielorientierung“ kennenlernen und einen Einblick in die dahinterstehenden Konzepte bekommen. Ich möchte als ein Element des Seminars gerne ein Glossar integrieren, mit dem die Teilnehmenden dann arbeiten sollen. Jedenfalls habe ich mir länger überlegt, in welcher Form ich dieses Glossar gestalten möchte. Normalerweise bin ich ja ein großer Miroboard-Fan. Zu diesem Zwecke schien mir ein Miro-Board allerdings nicht geeignet. Also habe ich überlegt, auf ein klassisches Word-Dokument (bzw. PDF) zurückzugreifen mit entsprechenden Querverweisen. Aber irgendwie schien mir das zu ‚unsexy‘ und auch zu statisch. Deshalb dachte ich, ich nutze diese Gelegenheit mal, um mich mit den Grundlagen von H5P auseinanderzusetzen. Fündig wurde ich hier wieder einmal im großartigen Fundus der lieben Nele Hirsch vom e-Bildungslabor. Auf dieser Seite gibt sie einen Überblick über alle verfügbaren Aufgabentypen von H5P. Außerdem hat sie eine Website erstellt, auf der man H5P offen, unkompliziert und ohne Registrierng ausprobieren kann. Das habe ich direkt gemacht und für mich einen niederschwelligen Zugang zu H5P gefunden. Ein Glossar kann ich damit gut erstellen – und sobald ich alle Einträge fertig habe, werde ich ein solches auch anlegen und freue mich darauf, in diesem Zuge noch mehr Möglichkeiten bei H5P zu entdecken.
Nun aber zu den angekündigten Büchern: Recht lange steht schon „How People Learn“ von Nick Shackleton-Jones auf meiner Leseliste. Ich kann das Buch allen empfehlen, die eine nett geschriebene, mit persönlichen Erfahrungen und Anekdoten gespickte Einführung in die Grundlagen des Lernens und Lehrens suchen. Im Zentrum des Buchs steht das Affective Context Model. Dessen Kernannahme ist, dass Lernen einen Prozess darstellt, bei dem Menschen emotionale Bedeutung an Informationen ‚anhängen‘. Emotionen spielen diesem Modell zufolge eine zentrale Rolle für den Lernprozess, bei dem Menschen Informationen quasi in emotionaler Hinsicht kennzeichnen. Direkt zu Beginn schreibt Shackleton-Jones, dass unser Gehirn alles loswerden möchte, was langweilig ist und keine persönliche Relevanz hat. Eine Information ohne persönliche Bedeutung ist nämlich nur „mental garbage to the mind, and is disposed of as quickly as possible” (S. 2). Shackleton-Jones erwähnt daher auch oft storytelling als eine wichtige Methode, um nachhaltig zu lernen (und wendet diese auch selbst in seinem Buch immer wieder an). Das viel propagierte ‘learning by doing’ ist zwar gut, noch besser sei aber ‘learning by feeling’ (S. 73). Doch wie können Lehrende das erreichen? Ein wichtiger Punk tist für Shackleton-Jones diesbezüglich, dass Lehrende ihre Lernenden kennen und um deren persönliche Relevanzsyteme wissen müssen. Keine einfache Aufgabe – eine Aufgabe aber, die den Wert der persönlichen Beziehung zu den Lernenden betont (s. hierfür auch das Buch “Mit Freude lehren”, in das ich diese Woche auch mal wieder geschaut habe). An dieser Stelle kommt dann auch KI ins Spiel. Shackleton-Jones’ Buch ist von 2019, also weit vor der aktuellen Welle von generativer KI geschrieben. Trotzdem finde ich, dass seine Überlegungen durchaus in die heutigen Diskussionen rund um KI im Bereich der Individualisierung und Verbesserung von Lernen eingebracht werden können. Eines seiner Argumente ist, dass, wenn Lernen auf emotionaler Bedeutung von Lerngegenständigen basiert, KI hier an ihre Grenzen stößt, da sie nicht beurteilen kann, was einer lernenden Person wirklich wichtig ist. Hier sind wir natürlich beim Thema „Datensammeln“ angelangt: Wie viel Informationen hat ‚die KI‘ über mich? Wann kennt mich die KI so gut, dass sie ‚weiß‘, was für mich von Bedeutung ist? Ein anderes Argument von Shackleton-Jones ist, dass KI als ‚Lehrmeisterin‘ nicht wirklich Begeisterung vermitteln könnte – doch auch hier stellt sich für mich die Frage, ob das wirklich noch gilt? Aber auch hier sind wir, denke ich, wieder am Punkt der Daten angelangt: Wenn KI mich irgendwann immer besser ‚kennt‘, kann sie sicherlich auch begeisterungsfähiger sein. Ich bin gespannt, was sich in diesem Bereich noch alles tun wird.
Noch ein letzter Punkt zu „How People Learn“: Ich habe in diesem Buch auch das „Substitution Principle“ von Daniel Kahneman kennengelernt. Dieses Prinzip wurde zwar nur an einer Stelle erwähnt, ist bei mir aber trotzdem hängen geblieben. Es bezieht sich auf die Tendenz von Menschen, eine schwierige Frage durch eine einfachere zu beantworten. Anstatt die tatsächliche Frage zu beantworten, substituieren sie diese durch eine leichter zu beantwortende Frage. Zum Beispiel könnte die Frage „Wie viel würden Sie dazu beitragen, um eine bedrohte Tierart zu retten?“ durch „Wie viel Emotion empfinde ich, wenn ich an sterbende Delfine denke?“ ersetzt werden. Dieses Prinzip zeigt, wie Menschen oft unbewusst und automatisch auf einfache Fragen ausweichen, anstatt sich mit der tatsächlichen Schwierigkeit der gestellten Frage auseinanderzusetzen (im Buch wird auf das Prinzip auf S. 50 Bezug genommen). Eine durchaus interssante Erkennnis, wie ich finde.
Wer sich nun mehr für den Inhalt von „How People Learn“ interessiert, nicht aber das ganze Buch ausleihen/kaufen/lesen möche, dem sei diese gute, recht ausführliche Zusammenfassung des Buches empfohlen.
Da ich über das erste Buch nun schon recht ausführlich geschrieben habe, gehe ich auf meine beiden anderen Lektüren diese Woche nur kurz ein. Zum einen war es das Buch „Workshops machen“ von Katja Paar. Mich hat vor allem der Untertitel „für inspirierte Teams, mehr Kreativität & weniger Blabla“ angesprochen, da ich selbst auch immer nicht viel von ineffzientem Blabla halte. Abgesehen von den vielen Methoden, die das Buch vorstellt, finde ich v. a. die Aufmachung schön: Es ist liebevoll illustriert (wie man immer so schön sagt), hat ein ansprechendes Layout und macht auch selbt kein Blabla, sondern bringt die wesentlichen Inhalte kurz und knackig auf den Punkt. Das Buch ist aus meiner Perspektive v.a. für Workshop-Neulinge zu empfehlen, aber auch für alte Hasen eine schöne Lektüre zwischendurch.
Das letzte Buch meiner Woche ist „Team Toppings“ von Franziska Schleuter, Jan Schönfeld, Patrick Schuder und Thomas Tillmann, in dem das Autor:innen-Team Lernhacks für agiles Arbeiten vorstellt. Das Buch richtet sich zum einen an Teams, die in Scrum-Kontexten arbeiten und lernen. Aber – und deshalb ist es für mich besonders interessant – auch an Teams, die außerhalb von Scrum-Kontexten arbeiten und die durch das Buch dabei unterstützt werden sollen, zukunftsweisende Lernroutinen in ihre Arbeit einzubinden. Seit heute, dem 01.03.2024, bin ich nämlich Leitung des Competence & Career Center an der Hochschule RheinMain und habe damit meine erste Führungsrolle inne. Als solche werde ich mich in den nächsten Wochen, Monaten und auch Jahren damit auseinandersetzen, wie ich das Lernen innerhalb meines Teams fördern und eine gute Lernkultur etablieren kann. Hier werde ich sicher immer wieder auf einzelne der im Buch vorgestellten Team-Toppings zurückgreifen.
Zwar ist dies hier ein beruflicher Blog, trotzdem möchte ich an dieser Stelle – wo wir gerade schon bei den von mir gelesenen Büchern sind – noch eine private Lektüreempfehlung aussprechen: Privat habe ich diese Woche nämlich das Buch „Fallensteller“ von Saša Stanišić verschlungen. Es enthält acht Kurzgeschichten, die in ihrer Sprache alle so ausdrucksstark, tiefgehend, berührend sind und in ihrem Inhalt gleichzeitig so skurril, kurios, verdreht, dass die Lektüre einfach nur Freude macht.
Weiter geht es mit einem Netzfund aus den Tiefen des YouTube-Universums, den ich diese Woche entdeckt habe: der Kanal von Andy Stapleton. Er selbst überschreibt seinen Kanal wie folgt: “Teaching you the insider secrets of academia to make it work for YOU”. Irgendwer in meiner KI-Hochschule-Bubble hat auf eines seiner Videos zum KI-gestützten Lernen verwiesen. Ich fand dieses Video toll, weil es mal wieder zeigt, wie sehr KI – richtig eingesetzt – inzwischen beim Lernen unterstützen und das Lernen optimieren kann. Ich habe mich dann weiter auf Andys Kanal umgesehen und noch einige andere Videos entdeckt, die ich gerne während meiner PhD-Zeit gesehen hätte …
Ich komme langsam zum Ende. Nach den drei Tagen ‚freiberuflicher Urlaub‘ war ich heute bei einem Online-Barcamp zum Thema „Kleine Fragen der Lernraumgestaltung„. Dabei nahm ich u. a. an einer Session teil, in der es um das Thema „Pausenräume für Nutzende/Schlafen in der Bibliothek“ ging. Ein Thema, über das ich mir, ehrlich gesagt, noch nie richtig Gedanken gemacht habe. Aber klar, wenn man als Student:in den ganzen Tag in der Bibliothek/an der Hochschule ist, hat man zwischendurch natürlich auch mal das Bedürfnis, sich zu erholen, ggf. auch einen Powernap zu machen. Bibliotheksmitarbeitende in der Session berichteten von Studierenden, die ihren Kopf einfach auf dem Tisch ablegen. Die Frage in der Session war dann, ob das nicht auch anders ginge? Immerhin ist dieses Kopfablegen ergonomisch nicht gerade toll und bietet auch darüber hinaus nicht die beste Gelegenheit für eine kurze Erholungspause. Dementsprechend bräuchte man entsprechende Möbel, die man nutzen könnte. Es geht aber auch generell um eine Wohlfühl-Atmosphäre. Und ich glaube, dass wir genau diese brauchen, wenn wir ganzheitliches Lernen in den Blick nehmen, wenn wir Studierende nicht länger nur als ‚brains on sticks‘ sehen wollen (hier mal wieder ein Verweis auf meinen Blogeintrag zur bewegten Hochschullehre). Ein paar der anwesenden Teilnehmenden diffamierten entsprechende Bemühungen um Ruhe-Möbel allerdings als ‚Extra-Wünsche‘ von Studierenden – man sei hier aber ja nicht bei ‚Wünsch-Dir-Was‘. Und überhaupt: Wenn man Pause machen will, solle man eben nicht in eine Bibliothek gehen. Dies sei schließlich ein reiner Lernort. Mich haben diese Kommentare traurig gestimmt, da Studierende hier – natürlich nur implizit, sicher nicht bewusst und sicher auch nicht böse gemeint – wieder einmal als anspruchsvolle Menschen dargestellt werden, die sich am liebsten nur nicht zu viel anstrengen wollen (sehr zugespitzt formuliert, ich weiß, aber Ihr versteht?). Warum darf ich mich dort, wo ich den ganzen Tag sitze (sic! …) nicht auch wohlfühlen? Warum darf ich mich dort nicht auch um die Bedürfnisse meines Körpers nach Ruhe, Pause, Entspannung kümmern? Warum werde ich hier wieder nur als ‚brain on a stick‘ behandelt? In dem Gebäude, in das das LehrLernZentrum, wo ich arbeite, nächstes Frühjahr einziehen wird, wird es übrigens zumindest einen Meditationsraum geben. Hier können sich Studierende in die Stille zurückziehen, um zur Ruhe zu kommen und neue Kraft zu tanken.
Schließen möchte ich diesen Blogeintrag mit einem Buchtipp, den ich vom Barcamp mitgenommen habe: „My Campus – Räume für die ‚Wissensgesellschaft‘?“ Raumnutzungsmuster von Studierenden“. Mich hat der Titel angesprochen und ich werde mir das Buch sicher bald mal näher anschauen. Und vielleicht findet es ja Erwähnung in einem meiner nächsten Blogartikel.