Eine Frage, die mich diese Woche mal wieder besonders umgetrieben hat, war eine der großen Fragen unserer Zeit: die Frage, warum Menschen im Zeitalter von KI überhaupt noch lernen sollen. Und bezogen auf das Bildungssystem, wie Lehrende bzw. Lernbegleiter:innen sie dazu motivieren können.
Diese ‚Lieblingsfrage‘ von mir wurde nämlich bei einem Seminar, das ich im Rahmen des DAAD-Lektor:innen-Sommertreffens in Bonn halten durfte, mal wieder virulent. Im Seminar ging es um das Schreibenlehren und -lernen mit genKI. Dabei landeten wir recht schnell bei der Frage, wie die DAAD-Lektor:innen bzw. DaF-Lehrenden ihre Lernenden weltweit fürs Deutschlernen begeistern können. Warum überhaupt noch Sprachen lernen, wenn ein Knopf im Ohr alles übersetzen kann? Warum Zeit und Energie investieren, wenn eine KI ohnehin den besseren Text schreibt?
Wir kamen natürlich zu den großen Themen: Identität, kulturelle Verbundenheit, interkulturelle Kompetenz. Die Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen – echte zwischenmenschliche, spontane, authentische, resonanzreiche Beziehungen – lässt sich eben nicht automatisieren. Und ein gutes Gespräch entsteht selten mit einem Algorithmus.
Ich habe in die Runde gefragt: „Warum sitzen eure Studierenden eigentlich in Euren Kursen? Warum ‚tun sie sich das an‘? Redet Ihr mit ihnen über ihre Motivation?“ Die häufigste Antwort ist in diesem Kontext wohl „Weil ich später in Deutschland arbeiten möchte/weil Deutschland so ein wichtiger Wirtschaftsstandort ist“. Allerdings gerät dieses Ziel offensichtlich zunehmend ins Wanken. Die deutsche Wirtschaft schwächelt und anderswo gibt es auch attraktive Joblandschaften. Warum also noch Deutsch lernen?
Wenn die intrinsische Motivation fehlt, wird Lernen zum Krampf. Dann ist es egal, wie gut die äußeren Rahmenbedingungen sind – es fehlt der innere Antrieb, der Lernende durch das Auf und Ab der mit Lernen verbundenen Frustrationen trägt. Und natürlich verspricht KI dann Erfolg innerhalb kürzester Zeit. Ein Teilnehmer argumentierte, dass Sprache ja ein Schlüssel zur Welt sei und er so versuche, seine Teilnehmenden zu begeistern. Ich frage mich aber, inwiefern das heute wirklich noch ziehen kann oder ob das nicht viel zu idealistisch gedacht ist. Und infolge dessen frage ich mich, ob der blinde Fleck nicht bei den Lernenden liegt sondern bei uns als Lehrenden bzw. Verantwortlichen im Bildungssystem. Wir argumentieren oft aus einer vergangenen Bildungslogik heraus, mit Narrativen, die in einer prä-KI-Welt sinnvoll waren. Aber vielleicht haben wir die Frage noch nicht radikal genug gestellt: Wie müsste ein Bildungsnarrativ aussehen, das KI inhärent mitdenkt?
Dazu passend hatte ich diese Woche eine kleine ‚Diskussion‘ unter einem LinkedIn-Post von Wibke Matthes. Wibke schrieb u.a. „Für die betriebliche Weiterbildung ist der Produktivitätsgewinn [durch KI; I.B.] ein attraktives Motiv, erfordert aber massive Investitionen in die Mitarbeitenden. Insbesondere im demographischen Wandel sind Upskilling und Reskilling zunächst für alle und auf einem grundlegenden Niveau der KI-Kompetenzen das Gebot der Stunde. Damit wird die Bedeutung von lebenslangem Lernen zusätzlich unterstrichen.“ Ich kommentierte dies wie folgt: „[Ich sehe] hier auch eine Art Widerspruch/Konflikt, von dem ich gespannt bin, wie er sich weiter auswirken wird: Lebenslanges Lernen ist elementar. Lernen dauert aber und lässt sich eben nicht mal eben schneller machen […]. Wie kriegen wir das zusammen? Enorme Schnelligkeit (und Schnelligkeitsanspruch) in Bereich auf KI und geforderte Langsamkeit beim Lernen?“ Ja, Bildung ist eine Investition und braucht als solche Zeit. Aber gibt ‚man‘ sich diese Zeit noch? Wenn alles so einfach zu haben scheint, warum dann den langen und beschwerlichen Weg gehen? Und wie Lernende davon überzeugen? Ich jedenfalls habe darauf noch keine passende Antwort gefunden …
Die Frage nach der Motivation zum Lernen begleitet mich derzeit auch ganz konkret auch in meiner eigenen Lernreise. Ich habe gestern mit einer Weiterbildung zum Thema „Wissensmanagement als Wettbewerbsvorteil“ bei der Haufe Akademie gestartet. Das Thema treibt mich schon lange um (und immer wieder an den Rande des Wahnsinns). Ich habe so viele Ideen, Notizen, Paper, Tools, Zitate, Links und ständig das Gefühl, den Überblick zu verlieren. Ich habe viel ausprobiert: Ordner, Notion, Zotero, Miro, Trello. Aber nichts davon hat bisher mein Bedürfnis erfüllt, mein Wissen wirklich systematisch zu sammeln, zu strukturieren und wieder nutzbar zu machen. Die Weiterbildung kommt jetzt genau richtig für mich. Zum 01.09. starte ich eine neue Stelle und möchte diesen Neuanfang bewusst nutzen, um mir endlich direkt von Anfang an ein für mich passendes Wissensmanagementsystem zu bauen.
Besonders inspiriert hat mich im Kick-Off zur Weiterbildung ein Link zum Artikel „Mein Wissensgarten“ von Herwig Kummer. Er beschreibt seinen persönlichen „Knowledge Garden“ – ein digitales Second Brain, das nicht bloß Informationen speichert, sondern Gedanken weiterverarbeitet, neu verknüpft und wo schließlich ‚geerntet‘ werden kann in Form von Texten, Blogposts, Bildern. Herwig Kummer schreibt: „Ich möchte (flüchtige) Gedanken, die ‚mietfrei im Kopf leben‘, aus dem Alltag aufsammeln und in ein Wissensnetzwerk einflechten.“ Und weiter: „Mind Gardening ist eine proaktive Art, Wissen, Ideen und Denken zu kultivieren.“
Das hat bei mir sofort resoniert. Ich will mir in den nächsten Wochen einen eigenen Wissensgarten anlegen. Einen Ort, an dem ich sammeln, sortieren und ernten kann, ganz im Sinne des „Seek – Sense – Share“-Modells von Harold Jarche, das ich ebenfalls gestern kennengelernt habe. Weg vom Chaos, hin zu einem lebendigen System. Noch weiß ich nicht genau, wie mein Garten aussehen wird. Ob mit Obsidian, Logseq oder etwas anderem (vermutlich aber Obsidian) als zentralem Pfeiler. Ich bin gespannt, was daraus wächst!