Was bleibt im Ernstfall – und im Prompt?

Verteidigungsfähigkeit. Eigentlich hätte ich nie gedacht, dass ich mal über so ein Thema blogge. Verteidigungspolitik gehörte für mich bislang zu den Bereichen, in denen ich mich nicht nur wenig bis gar nicht auskenne, sondern ehrlich gesagt auch wenig auskennen wolllte. Ich habe mich lieber mit KI beschäftigt, mit Bildungsfragen, mit Arbeitswelten im Wandel. Und jetzt also: Wehrbereitschaft. Verteidigungsfähigkeit. Zivilschutz. Passt das überhaupt hierher?

Vermutlich überrascht es einige Leser:innen, hier auf einmal einen Beitrag zu lesen, der sich mit der Frage beschäftigt, wie wehrbereit Deutschland ist. Aber genau diese Frage stand im Zentrum einer Veranstaltung, an der ich in dieser Woche teilgenommen habe. Unter dem Titel „Verteidigung der Freiheit – Wie wehrbereit ist Deutschland?“ hatte das Forum Wirtschaft und Gesellschaft eingeladen, ein gemeinsames Format der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände und der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ort der Veranstaltung war der HessenChemie Campus in Wiesbaden. Gastgeber Dirk Meyer, Hauptgeschäftsführer von HessenChemie, sprach in seiner Begrüßung von einem neuen Verantwortungsbewusstsein der Wirtschaft, das sich nicht nur auf Lieferketten, Energieversorgung und IT-Sicherheit bezieht, sondern auch auf die ganz grundsätzliche Frage, wie widerstandsfähig wir als Gesellschaft sind.

Dass es dabei nicht nur um Panzer geht, wurde schnell klar. Alaric Searle, Professor für Militärgeschichte und Keynote-Speaker, sprach in seinem Vortrag von sechs Fronten, an denen sich der Westen behaupten müsse, bzw. davon, dass ich der Westen bereits heute in einem „Sechsfrontenkrieg“ befinde. Drei militärische: Ukraine, China/Taiwan/Indo-Pazifik, Nahost, und drei nicht-militärische: Klimawandel, Umwelt, ideologische Polarisierung. In Bezug auf die militärischen Fronten formulierte er pointiert, dass die meisten Deutschen „militärische Analphabeten“ sind. Ja, ich bin definitiv eine militärische Analphabetin. Und ich habe auch gar nicht vor, eine militärische Alphabetin zu werden. Aber ich habe vor, mich mit dem Thema Wehrfähigkeit und den Konsequenzen, die das gesellschaftspolitisch und für den Arbeitsmarkt hat, zu beschäftigen – sowohl in meiner neuen beruflichen Rolle, in der das seit Mitte September eines meiner Themen ist, als auch privat.

Nach der Keynote fand eine Podiumsdiskussion statt. Das Podium war dabei vielfältig besetzt: Mit dabei waren Nicole Deitelhoff, Konflikt- und Friedensforscherin aus Frankfurt, Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz, Frank Christian Sprengel, Defense-Tech-Unternehmer, und Wolf Matthias Mang, Präsident der hessischen Unternehmerverbände. Moderiert wurde das Ganze von Kira Kramer von der FAZ.

Während der wie zu erwarten sehr kontrovers geführten Podiumsdiskussion wurde deutlich: Wehrbereitschaft ist ein schillernder Begriff. Für Deitelhoff beispielsweise steht er unter einem Spannungsverhältnis: Einerseits muss sich eine Demokratie verteidigen können, andererseits darf genau dieser Verteidigungswille nicht zu einer Entkernung dessen führen, was verteidigt werden soll. Kohlgraf ergänzte, dass Sicherheit nicht nur militärisch gedacht werden könne. Der Einsatz für Frieden, so sein Standpunkt, dürfe nicht allein an Waffen geknüpft werden. Vielmehr brauche es eine Debatte darüber, wie Zivilgesellschaft und Kirche Räume für Dialog, für Frieden und für Zusammenhalt schaffen können.

Frank Christian Sprengel wiederum betonte die strategische Dimension. Als Gründer eines Start-ups für militärische Softwarelösungen sieht er Technologie nicht als Selbstzweck, sondern als Instrument, das eingebettet sein müsse in Führungsprinzipien, Taktik und Werte. Ein Drohnensystem könne von einer Friedensmission genauso genutzt werden wie von einem terroristischen Netzwerk. Entscheidend sei nicht die Technik, sondern der Umgang damit.

Wolf Matthias Mang lenkte den Blick auf die Wirtschaft. Er zeigte auf, dass die deutsche Rüstungsindustrie – anders als vielfach angenommen – keine gigantische Branche sei, sondern im Vergleich etwa zur Automobilindustrie fast schon überschaubar daherkomme. Und er formulierte eine klare Erwartung: Unternehmen müssten sich stärker mit Fragen der Resilienz, der Vorbereitung und der eigenen Rolle im Verteidigungsfall beschäftigen. Dabei gehe es nicht nur um Investitionen, sondern zunächst einmal vor allem auch um Bewusstsein.

Ein Punkt, der mir besonders hängen geblieben ist, war die Frage nach der Wehrpflicht. Nicht nur, ob sie zurückkommen sollte, sondern wie eine moderne, inklusive Wehrform aussehen könnte. Nicole Deitelhoff betonte, dass junge Menschen heute nicht einfach in Kasernen geschickt werden könnten, ohne die gesellschaftliche Einbettung zu reflektieren. Es gehe nicht nur um Rekrutierung, sondern um Relevanz: Was bedeutet Dienst für das Land heute? Wer soll ihn leisten? Und was gibt die Gesellschaft diesen jungen Menschen dafür zurück?

Und dann kam das, was ich in von diesem Abend in meiner Funktion als Vertreterin eines Arbeitgeberverbands eigentlich erwartet hatte, was aber leider zu spät und zu kurz kam: Die Frage, was Unternehmen konkret tun können. Erst in der Schlussrunde, die auch für das Publikum geöffnet wurde, wurde diese Perspektive von Jürgen Funk, einem langjährigen Zeitsoldaten und inzwischen Verbandskollegen von HessenChemie, eindrucksvoll skizziert. Seine leidenschaftliches Plädoyer hallte noch lange in mir nach. Er sagte, dass wir als Wirtschaft sofort handeln müssen. Er machte das Szenario auf, dass ein baltischer Staat, der NATO-Mitglied ist, angegriffen wird. In dem Fall tritt Artikel 5 des NATO-Vertrages ein. Deutschland wird in diesem Fall „Aufmarschgebiet“, sodass wir große Menschenströme (Militärs und Zivilbevölkerung) durch unser Land ‚wandern‘ sehen werden. Dies wird zu Verwerfungen in der Wirtschaft, im Verkehr, in der Gesellschaft führen. Darauf basierend plädierte er dafür, dass sich jedes einzelne Unternehmen ein Lagebild darüber verschaffen muss, welche Arbeitnehmenden im Spannungsfall überhaupt noch da sind und wer nicht mehr (weil in Blaulichtorganisationen tätig, weil Familie in Osteuropa etc.). Allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist dies elementar. Sein Plädoyer war eindringlich. Nicht alarmistisch, aber doch sehr drängend. Und es brachte auf den Punkt, was mir die Veranstaltung insgesamt vermittelt hat: Wir können diese Debatte nicht mehr nur auf später vertagen. Wir müssen anfangen, jetzt. Zivilschutzfähigkeit, so wurde mehrfach betont, ist keine rein staatliche Aufgabe. Sie beginnt bei uns allen – im Kleinen, im Privaten, im Beruflichen.

Ich selbst war ein wenig enttäuscht, dass die Veranstaltung weniger Impulse für den Arbeitsalltag gab, als ich mir erhofft hatte. Aber ich habe viel gelernt. Über gesellschaftliche Brüche, über sicherheitspolitische Verantwortung, über den schmalen Grat zwischen Angst und Achtsamkeit. Und über die Notwendigkeit, neue Themen auch dann anzunehmen, wenn sie nicht ins eigene Schema passen. Vielleicht ist genau das auch eine Form von Resilienz: Die Fähigkeit, sich mit Ungewohntem auseinanderzusetzen. Nicht, weil man plötzlich zur Expertin für Verteidigungspolitik wird – sondern weil man nicht mehr weghört, wenn davon gesprochen wird. Und sich Gedanken darüber macht, was das für das eigene Leben bedeutet. Wir haben diese Woche Konserven gekauft und als immer nur Leitungswasser Trinkende auch einige Sixpacks Wasser für die Wohnung. Auf diese Weise vorzusorgen, habe ich bislang immer eher in einem manchmal leicht zwielichtigen Prepper-Milieu verortet. Nun sehe ich das anders und werde alle meine Freund:innen, Bekannte, Familie dazu ermutigen, es mir gleich zu tun.

Nun sollen aber auch diejenigen Leser:innen, die diesen Blog aufgrund seiner Beschäftigung mit generativer KI lesen, noch auf ihre Kosten kommen. Breaking News der Woche war hier sicherlich, dass Microsoft die Ära des „Vibe Workings“ eingeläutet hat. Laut The-Decoder sollen zwei neue Agenten-Systeme, basierend auf Modellen von OpenAI und Anthropic, die Arbeit in Excel, Word und PowerPoint verschnellern. Agent Mode erweitert dabei bestehende Office-Anwendungen um autonome Funktionen, während Office Agent als eigenständiges Multi-Agent-System in der Chat-Umgebung arbeitet. Da ich selbst dank meiner neuen Arbeitsstelle inzwischen auch Nutzerin von Microsoft 365 mit Volllizenz von Copilot bin, freue ich mich sehr auf diese Entwicklung. „Vibe Working“ als neuer Trend, begrifflich angelehnt an Vibe Coding, spricht spannende Entwicklungen für die Arbeitswelt von morgen, die sicher die wenigsten HRler:innen schon auf dem Schirm haben.

Neben diesen Breaking News veröffentlichte Anthropic, die nun ja auch bei Microsoft involviert sind, einen tollen Artikel zum Thema „Context Engineering“. Da ich selbst immer ‚Werbung‘ dafür zu machen versuche, dass Prompt Engineering zu eng gedacht ist, kommt mir dieser Artikel sehr gelegen. Wer bisher dachte, beim Prompting sei bereits das Ende der Fahnenstange erreicht, wird hier eines Besseren belehrt. Der zentrale Gedanke: Nicht der einzelne Prompt ist entscheidend, sondern das gesamte Kontext-Setup, mit dem ein Agent agiert.

Kontext wird hier als das Set an Tokens verstanden, das dem Modell zur Verfügung steht. Dieses ist, trotz wachsender context windows, nach wie vor begrenzt. Je länger der Kontext, desto höher die Gefahr des „context rot“, also einer schleichenden Unschärfe in der Informationsverarbeitung. Deshalb lautet das Credo: weniger ist mehr, Hauptsache signalstark. Statt möglichst viel Information in den Kontext zu stopfen, geht es darum, genau die richtigen Informationen zur richtigen Zeit hineinzuholen, idealerweise dynamisch.

Dazu gehören Techniken wie strukturierte Notizen außerhalb des Kontexts (quasi als ausgelagerter Arbeitsspeicher), automatisiertes „Compaction“ (also Zusammenfassungen, um den Kontext zu verschlanken) oder der Einsatz spezialisierter Sub-Agenten, die Aufgaben mit eigenem Kontext bearbeiten und dann verdichtete Ergebnisse zurückspielen. Alles mit dem Ziel, Agenten zu bauen, die über viele Schritte hinweg koordiniert, effizient und zielgerichtet arbeiten.

Mir gefällt besonders, dass Anthropic das Ganze nicht als bloßen Engineering-Kniff versteht, sondern als konzeptionelle Weiterentwicklung des Prompt Engineering: weg vom wortgewandten Einzelprompt, hin zu einem systemischen Designprinzip. Context Engineering denkt die Beziehung zwischen Mensch und Modell in einem größeren Kontext und zeigt, dass die Zukunft von KI-Anwendungen eben nicht nur in Modellgröße, sondern vor allem in Struktur, Auswahl und Timing des Kontexts liegt. Ein schöner Impuls, um auch im eigenen Arbeiten mal wieder zu fragen: Was muss eigentlich wirklich alles in den Kontext rein? Und was kann (oder sollte) draußen bleiben?