Meine Woche begann am Montag mit einem sehr intensiven Workshop, der rundum gelungen war. Ausgerichtet wurde der Workshop vom CeRRI des Fraunhofer IAO und dem Stifterverband und zwar innerhalb der Taskforce „Framework Future Skills“ der Future Skills Allianz (Co-Leitungen: Wibke Matthes und Kati Hannken-Illjes). Ich hatte mich schon im Voraus sehr darauf gefreut, mit Menschen aus Hochschule, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft einen Beitrag zur Weiterentwicklung eines neuen Future Skills Frameworks zu leisten. Und so fühlte sich der Workshop auch sehr sinnstiftend an, weil ich wusste, dass das, was wir erarbeiten, eine der Grundlagen für das neue Future Skills-Framework des Stifterverbandes sein wird.
Ein richtig schöner Einstieg war das „Pocket Prototyping“-Warm-up: Aus einem kleinen Bastelset, das uns zuvor per Post zugeschickt wurde, sollten wir die Zukunftskompetenz bauen, die uns am wichtigsten erscheint. Ich habe mich (oh Wunder …) für AI Literacy entschieden. Mein Ergebnis: grüner Schaumstoff für das Funktionswissen über KI, silberne Elemente für die Anwendungskompetenz, ein Netz für gesellschaftliche Implikationen. Und obendrauf eine kleine transparente Kugel als Erinnerung daran, dass nicht alles durch KI erklärbar oder lösbar ist. Ihr hättet das allein auf Grundlage des Fotos direkt erkannt, oder? 😉

Im Zentrum des Workshops stand die Idee, Future Skills nicht abstrakt zu beschreiben, sondern kontextbasiert zu entwickeln. Kontext in diesem Fall: die Megatrends der nächsten zehn Jahre. Denn wenn gesellschaftliche Entwicklungen wie Desinformation, Klimawandel und Erosion demokratischer Systeme unsere Lebens- und Arbeitswelt prägen werden, dann müssen wir genau dort ansetzen, wenn wir über Zukunftskompetenzen sprechen. Future Skills also nicht als universelle Toolbox, sondern als Antwort auf konkrete Herausforderungen.
Gearbeitet haben wir im Workshop mit der Methode der Future Wheels, die ich im Rahmen des University Future Festivals vor ein paar Wochen kennengelernt habe und nun direkt wieder anwenden durfte. Es handelt sich hier um eine strukturierte Art, in Folgen zu denken: Was passiert, wenn ein bestimmter Megatrend sich verstärkt? Welche Effekte ergeben sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Sektoren? Und was folgt aus den einzelnen Effekten dann wiederum? Die einzelnen Megatrends kamen übrigens aus der von der Taskforce zuvor schon durchgeführten Megatrendstudie.
Die ‚Karte‘ zum Megatrend Desinformation, die Wibke Matthes danach auf LinkedIn teilte bzw. beschrieb, macht das sehr anschaulich: Von der gezielten Manipulation in sozialen Netzwerken über den Vertrauensverlust in zentrale Informationsquellen bis hin zur Notwendigkeit von Medienkompetenz, kritischem Denken und Wertebewusstsein – all das sind Entwicklungslinien, die Future Skills nicht als abstrakte Qualitäten, sondern als konkrete Ermöglichungsbedingungen von Handlungsfähigkeit sichtbar machen.
Nachdem wir in dieser ersten Runde (bzw. eher in ersten ‚Speeddating/Brainstorm-Runden‘) die verschiedenen Megatrends mittels der Future Wheels Methode näher betrachtet haben, haben wir in einer zweiten Runde Kompetenzen erarbeitet, die benötigt werden, um in Anbetracht der Megatrends in den nächsten fünf Jahren handlungsfähig zu bleiben, die Zukunft zu gestalten und sich gut darin zurechtzufinden. Dazu haben wir mit drei Karten gearbeitet: „Die Menschen brauchen das Wissen über … um …“, „die Fähigkeit zu …, um …“, „die Haltung …, um …“. Ausgefüllt wurden sie mit Begriffen wie Data Literacy, Selbstregulation, Entscheidungskompetenz, aber eben nicht als Buzzwords, sondern in Bezug auf die jeweiligen Zukünfte, die wir diskutiert hatten.
Was mir am Workshop besonders gefallen hat: Es ging nicht darum, mal eben ein neues Framework zu entwickeln oder ein bestehendes Framework kosmetisch zu überarbeiten. Es ging darum, Komplexität auszuhalten, Kontexte ernst zu nehmen und Anschlussfähigkeit zu schaffen. Future Skills wurden nicht als etwas präsentiert, das wir „vermitteln“ müssen, sondern als etwas, das aus dem Zusammenspiel von Entwicklung, Aushandlung und gesellschaftlicher Verantwortung entsteht. Future Skills sind nicht nur individuelle Qualifikationen, sondern gesellschaftliche Ermöglichungsstrukturen. Und sie entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern in Auseinandersetzung mit dem, was ist – und dem, was werden könnte. Marie Lena Heidingsfelder, die Moderatorin des Workshops, stellte an einer Stelle die Frage, ob manche Leute nicht heute schon in der Zukunft anderer Menschen leben. Hier wurde m. E. sehr deutlich, dass Zukunft ja auch etwas sehr Individuelles ist und damit manche Kompetenzen für mich später oder früher relevant werden als für andere. Ja, ich lebe heute sicher schon eine Lebensrealität, die für eine andere Person erst in einem Jahr kommt, wenn sie viel mehr in genKI eingetaucht ist. Und ja, eine andere Person lebt sicher heute schon die Lebensrealität, die ich in zwei Jahren haben werde, wenn ich wirklich realisiere, dass ich eine andere Konsumkompetenz brauche als die, die ich heute habe und die v.a. an Begehrlichkeiten und nicht an Bedürfnissen ausgerichtet ist.
Am Ende haben wir im Plenum noch darüber diskutiert, welche Kompetenzen über alle Megatrends hinweg besonders wichtig zu sein scheinen. Hier wurden data literacy, AI literacy, Selbstregulation, Verantwortung, Einschätzen der eigenen Handlungsräume und Entscheidungskompetenz genannt. Immer wieder tauchte auch Futures Literacy auf, also die Fähigkeit, Zukunft als offenen Gestaltungsraum zu begreifen, nicht als lineare Fortschreibung der Gegenwart. Vielleicht ist das auch der entscheidende Punkt: Zukunft ist kein Ort, den wir erreichen. Zukunft ist ein Prozess, den wir gestalten. Und wer heute schon in der Zukunft anderer lebt, hat vielleicht weniger eine Glaskugel als ein besonders gutes Gespür für Möglichkeitsräume.
Aktuell lese ich „How to Future. Leading and sense-making in an age of hyperchange“ von Scott Smith. Hier werden fünf Qualitäten von Menschen beschrieben, die gut in „future-focused sensing“ sind. Die fünf Qualitäten sind „active noticing“, „staying with the flow“, „maintaining curiosity“, „strong insights, weakly held“ und „keeping a safe distance“ (S. 62f.). Wenn ich mit der Lektüre fertig bin, werde ich auf jeden Fall mal überlegen, wie ich diese Qualitäten bei mir selbst systematisch kultivieren kann. Ich glaube nämlich, dass die Kompetenz, Möglichkeitsräume zu entdecken und zu explorieren, immer wichtiger wird.
Zum Wochenende hin noch ein anderer Lektüretipp: In ihrem jüngst veröffentlichten Positionspapier Stop Anthropomorphizing Intermediate Tokens as Reasoning/Thinking Traces! kritisieren Kambhampati et al. eine weit verbreitete Praxis in der Forschung zu Large Language Models: Die Tendenz, Zwischentoken, also die Textteile, die ein Modell vor der eigentlichen Antwort generiert, als Ausdruck von ‚Denken‘ oder ‚Schlussfolgern‘ zu interpretieren. Die Autor:innen argumentieren, dass diese vermeintlich harmlosen Metaphern zu falschen Annahmen über die Funktionsweise von Sprachmodellen führen und Vertrauen in Systeme erzeugen, das faktisch nicht gerechtfertigt ist. Statt in den Zwischenschritten der Modelle genuine kognitive Prozesse zu sehen, schlagen sie vor, diese rein funktional zu betrachten: als statistisch wirksame Prompt-Erweiterungen, die nichts über die innere Logik oder Validität des Outputs aussagen. Das Paper ist ein Plädoyer für mehr begriffliche Präzision – und ein notwendiger Warnruf gegen eine Rhetorik, die dazu verführt, statistische Muster für intelligentes Verhalten zu halten.