Ich bin gerade sehr müde, erschöpft und desillusioniert, wenn es um das disruptive Potenzial geht, das generative KI für Hochschulen, für Hochschulbildung, für Lehre und Prüfen haben soll(te). Diese Erschöpfung wurde mir die Tage sehr bewusst, weshalb ich von den drei Ereignissen berichten möchte, die mir dies sehr deutlich vor Augen geführt haben.
Am Dienstag hatten wir mal wieder eine VK:KIWA-Sternstunde, die übrigens aufgezeichnet wurde und die man hier nachträglich anschauen kann (ich habe mir KI-gestützt ein Transkript ausgeben lassen, das mir auch als Grundlage für diesen Blogeintrag dient). Thema war „Künstliche Intelligenz: Die Totengräberin traditioneller E-Learning-Systeme“. Als Special Guest hatten wir Prof. Jörn Loviscach eingeladen, dessen Texte ich teilweise auch schon in meinen Blogartikeln verlinkt habe. In seinem Impulsvortrag zu Beginn stellte er die These auf, dass der Lerncontent, den Studierende wirklich nutzen, oft nicht der Content unserer hochschulischen Lernplattformen ist, sondern der Content, den sie über Google oder YouTube beziehen. Er machte die Unterscheidung zwischen Lernmanagementsystemen, bei denen die Lehrkraft das Lernarrangement gestaltet, und Large Language Models auf, bei denen der oder die Lernende selbst ihr Lernarrangement gestaltet.
In der Diskussion wurde anschließend zunächst dieser Punkt aufgegriffen. Anika Limburg sagte, dass LLMs den großen Vorteil haben, direkt an das Vorwissen der Lernenden anzuknüpfen – was eine wichtige Gelingensbedingung für Lernen ist. Lernende können hier selbstgesteuert nach ihren eigenen Interessen und nach ihrem eigenen Vorwissen lernen. Gerade aufgrund der fehlenden Strukturiertheit setzten LLMs aber voraus, dass ich viel über mich als Lernende weiß, dass ich meine Präferenzen kenne, dass ich über die Kompetenz der Selbstregulierung verfüge, kurzum: dass ich bereits ein entsprechendes Maß an metakognitiver Kompetenz erworben habe. Wenn Menschen sich für ihr eigenes Lernen verantwortlich fühlen, lernen sie erfolgreicher, ja. Aber wie können Menschen lernen, diese Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen?
Und dann waren wir recht schnell bei einer generellen Kritik des Bildungssystems. Jörn Loviscach führt in diesem Kontext den Begriff ‚Bildungsvollzugssystem‘ ein: Man bringt Prüfung nach Prüfung hinter sich, setzt überall einen Haken dran und verlässt am Ende die Hochschule, ohne wirklich etwas gelernt zu haben – überspitzt formuliert. Ich brachte an der Stelle den Punkt ein, dass sich ideale Hochschullehre durch Problem-Based Learning auszeichnen würde, im Rahmen dessen Studierende LLMs zur Steuerung ihres Lern- und Arbeitsprozesses nutzen würden, bei dem sie sich selbstverantwortlich die Informationen und das Wissen zusammensuchen, das sie für die Bearbeitung der Aufgabe benötigen, bei dem sie von den Lehrenden gecoacht und engmaschig begleitet werden. Damit Problem-Based Learning aber gut funktionieren kann, braucht es eine engmaschige Betreuung der Studierenden. Tja und diese personellen Ressourcen sind aktuell an Hochschulen nicht im adäquaten Umfang vorhanden, jedenfalls nicht an staatlichen. Im Gegensatz dazu ist zum Beispiel die private Tomorrow University zu nennen – aber ein Studium dort können sich eben nicht alle leisten, Stichwort Bildungsgerechtigkeit.
Anika Limburg formulierte, dass wir wahrscheinlich viel schneller handeln müssen, als uns jetzt gerade klar ist, weil wir als Hochschulen uns ansonsten selbst abschaffen. Unsere Rolle als Bildungsinstitution hat sich durch generative KI fundamental geändert – nur dass man davon im alltäglichen Doing an den Hochschulen selbst nicht viel bis gar nichts merkt. Ja, das ist vielleicht zu negativ ausgedrückt. Klar, es passieren Dinge, aber noch viel zu sehr im Kleinen und noch nicht flächendeckend. Aus meiner Perspektive steht der entscheidende Ruck, der durch das Bildungssystem gehen müsste, noch auf. Alle haben sich gefühlt in dieser neuen Normalität eingerichtet, aber großartige Veränderungen haben nicht stattgefunden. Doris Weßels plädierte in der Diskussion dafür, dass wir alle viel tiefer in die Diskussion einsteigen müssen, um diesen notwendigen, dynamischen Transformationsprozess entsprechend zu starten und dann zu managen.
Und genau hier tue ich mich gerade extrem schwer. Ich war inzwischen schon in so vielen Diskussionsrunden zu Gast, in denen immer am Ende die Conclusio war, dass die Hochschulen sich der Transformation stellen müssen, dass es nun wirklich unaufhaltsam ist. Großflächig getan hat sich nicht wirklich etwas. So frage ich mich inzwischen, wie sehr ich überhaupt noch solche Forderungen propagieren kann, von denen ich weiß, dass sie in der revolutionären Kraft, die notwendig wäre, ohnehin nicht umgesetzt werden können. Ich sehe eine immer stärkere Kluft zwischen dem, was ich und andere Angehörige meiner Bubble an normativen Forderungen für die Transformation des Hochschulsystems aufstellen, und dem, was de facto in der Realität stattfindet, wo wir träge Hochschulsysteme haben, Bildungsvollzugssysteme.
Neben der VK:KIWA-Sternstunde fand diese Woche auch noch ein Treffen des Think Tanks „Strategie- und Prozessfragen für die Hochschultransformation“ statt, den ich seit Kurzem leite. Eine Teilnehmende brachte die folgende Frage ein, die wir diskutiert haben: „Wir beobachten, dass sich an unserer Hochschule eine Gruppe von Lehrenden seit der Verbreitung von ChatGPT mehr oder weniger intensiv mit KI-Tools beschäftigt hat und inzwischen über gute (Anwendungs-)Kenntnisse verfügt. Manche Lehrende haben über ihr Fach sowieso mit KI-Tools zu tun und das Thema fließt „automatisch“ in ihre Lehre und ihren Lehralltag ein. Aber viele andere Lehrende beschäftigen sich gar nicht mit dem Thema – und hier stellt sich die Frage, wie wir sie erreichen können“.
Und auch in dieser Diskussion haben wir festgestellt, dass es eine große Behäbigkeit aufseiten der Hochschulleitungen, der Studierenden und der Lehrenden gibt. Und so stellte sich die Frage, ob der disruptive Effekt am Ende nicht vielleicht sogar verpufft, oder ob es doch noch den einen Moment gibt, in dem uns alles um die Ohren fliegt. Wenn man die aktuellen Meldungen liest, etwa heute im Handelsblatt KI-Briefing, dann stellt sich natürlich auch die Frage, inwiefern der KI-Hype eine Blase ist und was an den Hochschulen passiert, wenn diese platzt. Die Teilnehmenden des Think Tank-Treffens waren sich größtenteils einig, dass selbst die Lehrenden, die sich engagiert mit KI-Tools auseinandersetzen, ihre Lehre und ihr Prüfen nicht im großen Stil umkrempeln, weil sie es teilweise auch aufgrund der institutionellen, strukturellen Rahmenbedingungen gar nicht können. Müssen wir als Angehörige dieses Systems also geduldiger sein, nachsichtiger, oder müssen wir noch viel vehementer Impulse setzen und immer weiter missionieren?
Schließlich habe ich heute mal wieder ein Präsenzseminar zum Thema „KI-Tools und wissenschaftliches Schreiben: Implikationen für Lehre und Prüfen“ gegeben. Abgesehen davon, dass das Seminar toll war und die Teilnehmenden sehr engagiert diskutiert haben, gab mir auch dieses Seminar weiteren Anlass zum Verzweifeln: Die Universitäts-Leitung wälzte die Verantwortung für eine KI-Policy auf die Fachbereiche ab und diese wiederum auf die einzelnen Lehrenden. Diese wiederum sind ähnlich wie die Studierenden schlichtweg überfordert – was sehr nachvollziehbar ist: Wie soll ich KI-Tools bei der Berücksichtigung von Haus- und Abschlussarbeiten einbeziehen? Soll ich KI-Tools verbieten? Soll ich zur Kennzeichnung KI-generierter Inhalte verpflichten? Wie kann ich die Studierenden bei der Entwicklung einer generellen KI-Kompetenz unterstützen? Welche Schreibaufträge kann ich überhaupt noch stellen? Etc. etc. etc. In meinem Seminar, das am dortigen Zentrum für Hochschullehre genau zweimal im Jahr angeboten wird, nahmen 12 Lehrende teil. 12 von wie vielen hunderten der Universität? Ich bin müde und erschöpft …
Fast direkt nach meinem Seminar wurde mir ein Beitrag von Frank Ziegele in meine LinkedIn-Timeline gespült, der mich in meiner trüben Stimmung zumindest etwas aufrüttelte: Er verweist auf einen Zeitungsartikel, in dem wohl steht, dass deutsche Hochschulen aktuell durch ein tiefes Tal gehen. Daran anknüpfend schreibt Frank Ziegele: „This tries to generate a sense of urgency of course, however I have the feeling that creating an exaggerated “everything’s bad” picture will rather lead to resistance to change. Wouldn’t it be better to create a “yes, we can” and „Zuversicht“ mentality, making clear that change is needed, but focusing on the current strengths and on the reliance regarding the capabilities of the universities to manage the change?” Ja, das wäre definitiv besser, definitiv. Und es ist ja auch das, was ich möchte. Nur ist gerade die Luft ziemlich raus …