Nele Hirsch und Joscha Falck haben in dieser Woche zu einer Blogparade unter dem Hashtag #KIBedenken aufgerufen. Die beiden hadern im Kontext der bildungsbezogenen KI-Debatte mit sechs Punkten:
1) Verlieren wir über KI nicht wichtigere Themen aus den Augen?
2) Warum steht Technik so oft vor Lernen?
3) Wo bleibt die benötigte Veränderung der Lernkultur?
4) Was ist überhaupt wie pädagogisch wirksam?
5) Hatten wir Toolifizierung nicht überwunden?
6) Wie nachhaltig werden öffentliche Mittel eingesetzt?
Ich möchte in meinem Blogpost diese Woche auch einen Beitrag zur Blogparade liefern. Dafür greife ich mir Punkt 5 – die Toolifizierung – heraus. Egal welche Fortbildung ich in welchem Kontext für egal welche Personengruppe in den letzten Monaten bzw. im letzten Jahr angeboten habe, an irgendeiner Stelle wurde von den Teilnehmenden immer der Wunsch laut, mehr Tools kennenzulernen. Bin ich auf dieses Bedürfnis nicht eingegangen, weil ich andere, größere Punkte als wichtiger empfinde, wurde genau dies am Ende im Feedback bemängelt.
Ich kann diesen Wunsch verstehen. Am Anfang meiner Beschäftigung mit generativer KI habe auch ich den Zugang zu dieser Thematik vor allem über Tools gefunden und hatte damals oft auch Sorge, ein neues Tool zu verpassen. Doch woher kommt eigentlich dieser Wunsch danach, möglichst einen umfassenden Überblick über verschiedene KI-Tools zu bekommen, obwohl natürlich niemals irgendjemand auch nur ansatzweise alle Tools überschauen kann? Die Antwort, die ich auf diese Frage geben würde, ist die folgende: Ich glaube, dass Menschen dadurch versuchen, der unglaublichen Dynamik und Komplexität im Bereich generativer KI irgendwie Herr:in zu werden. Natürlich ist es viel einfacher, wenn ich eine Liste mit verschiedenen Tools an die Hand bekomme, die ich dann ausprobieren, deren Stärken und Schwächen ich benennen kann und wo ich – im Kontext der Hochschullehre– dann weiß, was Studierende damit ‚anstellen‘ können. Die Kenntnis von KI-Tools für verschiedene Funktionen suggeriert eine Sicherheit. Und zwar die Sicherheit, das Ganze doch irgendwie kontrollieren zu können.
Genau diese von Joscha und Nele kritisierte Toolifizierung wägt viele in einer falschen Sicherheit. Die viel größeren Fragen, die generative KI im Bildungsbereich aufwirft, müssen nämlich nicht beantwortet werden, solange man das Gefühl hat, ‚alle‘ KI-Tools zu kennen. Man kann weitermachen wie bislang, nur dass man nun eben KI-Tools in die eigene Lehre integriert. Ich weiß, dass das despektierlich klingt, doch das soll es nicht sein. Denn ich kann diesen Wunsch verstehen. Als Lehrperson hat man ohnehin schon so viele Aufgaben zu erfüllen: Man hat viele Studierende, die man betreuen muss, außerdem möchte man nebenher auch noch forschen, bestenfalls noch Drittmittel einwerben und sich im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung betätigen. Und dann war da plötzlich dieser große Knall durch generative KI. Insofern möchte ich hier niemanden verurteilen. Für mich ist es nur problematisch, dass scheinbar immer noch allzu häufig nur die Tools im Vordergrund stehen, genau wie Joscha und Nele es schreiben.
Die Beschäftigung mit KI-Tools ist völlig in Ordnung – solange sie den Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung mit KI-Tools und deren Implikationen bildet. Ich selbst gehe deshalb in meinen hochschuldidaktischen Seminaren seit letztem Herbst im Sinne des Flipped-Classrooms so vor: Die Teilnehmenden erhalten von mir im Voraus eine kuratierte und kommentierte Zusammenstellung verschiedener KI-Tools zu verschiedenen Funktionen des wissenschaftlichen Schreibens (darum geht es in meinen Seminaren zumeist). Es gibt ein Miroboard, auf dem die verschiedenen Tools versammelt sind, dazu ein Video von mir, in dem ich die einzelnen Tools kommentiere und per Screencast vorstelle. In meiner Mail an die Teilnehmenden fordere ich sie dazu auf, sich dieses Video im Voraus anzuschauen. Am Anfang des Seminars räume ich dann Zeit dafür ein, dass die Teilnehmenden über die Tools miteinander ins Gespräch kommen und darüber, was ihnen beim Anschauen des Videos durch den Kopf ging. So kann ich dieses Bedürfnis nach KI-Tools, das ich natürlich ernst nehmen möchte, befriedigen, kann gleichzeitig aber auch sicherstellen, dass sich nicht die ganze Veranstaltung nur um Tools dreht.
Im Frühjahr und Sommer biete ich ein ‚Train the Trainer‘-Seminar für die Gesellschaft für Schreibforschung und Schreibdidaktik (gefsus) an (für das Seminar im August gibt es noch freie Plätze). Ich möchte dort Kolleg:innen aus der Schreibdidaktik Ansatzpunkte dafür mitgeben, wie sie vor dem Hintergrund von generativer KI schreibdidaktische Seminare für Hochschullehrende anbieten können. Im Vorfeld habe ich eine Erwartungsabfrage gemacht und auch dort wurde häufig der Wunsch geäußert, einen Überblick über verschiedene KI-Tools zu bekommen. Für mich ist das eine wichtige Chance, die Welt zumindest im Kleinen zu verändern (um es pathetisch auszudrücken). Ich sehe mich hier als Multiplikatorin für den Gedanken, dass es in Seminaren für Lehrende eben nicht darum gehen sollte, einfach zwanzig verschiedene KI-Tools vorzustellen, sondern um weit mehr. Worum genau? Um nichts weniger als darum, dass es ganz dringend eine grundlegende Transformation von Hochschulbildung braucht, eine Veränderung der bisherigen Lern- und Prüfungskultur.