Ist denn schon wieder Zeit für Neujahrsvorsätze? Naja, noch nicht ganz, aber zumindest bald. Und da hätte ich schon mal ein paar Gedankenanstöße. Diese stammen nicht von mir, sondern aus dem großartigen, sehr inspirierenden Buch „Beyond 2026 – Das Jahrbuch für Zukunft“ von „The Future:Project“. Dieses Buch ist ohnehin meine Lieblingslektüre in diesen Tagen (so viel Schmökerstoff!) und ich werde sicher noch das eine oder andere daraus teilen.
Das Buch ist in 20 verschiedene Kapitel unterteilt, die jeweils einen thematischen Möglichkeitsraum aufmachen. Eines der Kapitel trägt den Titel „Radikale Zuversicht“. Unter dieser Überschrift versammelt Lena Papasabbas „9 Übungen für mehr Zukunftsmut“ (S. 129 f.). Vier davon möchte ich hier teilen, da ich sie mir als Neujahrsvorsätze vornehmen möchte. Der Grund dafür ist so banal wie sicherlich einleuchtend: Es gibt so viel Gemeckere, so viel Schweres, so vieles, das einem den Tag verderben kann. Kein Tag ist perfekt, kein Job ist perfekt, kein Privatleben, keine Familie, kein:e Ehepartner:in, kein:e Chef:in – und man selbst ist es auch nicht. Ja, man kann meckern und motzen und sich in einem fort beklagen. Ja, man kann den Kopf in den Sand stecken angesichts der multiplen Krisen auf dieser Welt, angesichts von Demokratieerosion, Klimawandel, Rechtspopulist:innen, Kriegen etc. etc. etc. Aber: Ich möchte das nicht. Und ich möchte es bewusst nicht tun. Und genau deshalb nehme ich mir die folgenden Punkte für 2026 als Vorsätze. Denn, wie Lena Papasabbas als Einleitung zu den neun Übungen für mehr Zukunftsmut schreibt: Wir brauchen radikale Zuversicht. Und dafür brauchen wir Vorstellungen einer lebenswerten Zukunft und die Fähigkeit, konstruktiv mit Zukunft umzugehen.
Punkt 1: „Aufhören zu meckern. Wer ständig über Politik, Chefs oder die Deutsche Bahn schimpft, vergisst, wie privilegiert wir sind – und macht sich zum Opfer. Selbstwirksamkeit beginnt mit radikaler Akzeptanz des Jetzt“. Für mich ist dieser Punkt deshalb so wichtig, weil es ja stimmt: Auch wenn es vieles gäbe, über das ich mich beklagen kann – ich bin so unglaublich privilegiert und genau das darf ich nicht vergessen. Ich habe einen Job, der mich nicht nur inhaltlich erfüllt, sondern auch dafür sorgt, dass ich einen Lebensstandard habe, bei dem ich nicht überlegen muss, ob ich mir Ausgehen mit Freund:innen, Museums- und Opernbesuche, Urlaube und vieles mehr leisten kann. Allein das macht verdammt dankbar. Ich möchte daher weniger meckern über vieles, was letztlich nur Kleinigkeiten sind (und um Kritiker:innen den Wind aus den Segeln zu nehmen: Mir geht es um ’normales‘ Meckern und nicht um ein pathologisches ‚alles ist nur noch schwarz‘ aka Depression).
Punkt 2: „Ehrlich ironisch sein […] sich selbst nicht so ernst nehmen! Wer mit entwaffnender Ehrlichkeit und liebevoller Ironie auf die eigene Fehlbarkeit reagiert, wird unangreifbar.“ Darin bin ich, würde ich sagen, schon ganz gut. Ein wenig mehr hier und da schadet aber sicher auch nicht.
Punkt 3: „It’s a Spectrum, stupid! Die Welt passt nicht in Schubladen: Mann/Frau, Körper/Geist, normal/verrückt. Je mehr wir Vielfalt zulassen, desto interessanter, bunter und entspannter wird das Leben.“ Ich selbst mag nicht in Schubladen gesteckt werden, weil ich, so denke ich jedenfalls, vieles für manche Unvereinbare in mir vereine. Ich merke aber leider immer wieder, wie schnell ich dabei bin, andere in Schubladen zu stecken. Hier sollte die Regel doch ganz einfach sein: Da ich selbst nicht in einer bestimmten Schublade verortet werden möchte, sollte ich auch bei anderen wahrnehmen, dass sie vielleicht ‚inkompatible‘ Anteile in sich vereinen.
Punkt 9: “I’ve seen the future. It’s romantic. Unser Zeitalter ist rationalistisch – nützlich, aber begrenzt. Wenn Ratio Religion, Emotion und Magie ersetzt, stirbt die Kreativität. Das nächste Zeitalter braucht wieder Zauber – und Romantik!“ Mit diesem Punkt tue ich mich besonders schwer. Meine ‚Religion‘ ist die Wissenschaft: Es gibt für mich nur das, was man irgendwie ‚beweisen‘ kann. Fakten, Fakten, Fakten bitte. Das war nicht immer so; mein christlicher Glaube war für mich lange Zeit fester Halt und Anker. Dann übernahm irgendwann die Wissenschaft. (Ja, ich weiß, dass es nicht „die Wissenschaft“ gibt. Meine Lektüre des Jahres zu diesem Punkt ist Peter Strohschneiders „Wahrheiten und Mehrheiten. Kritik des autoritären Szientismus“). Ich bin definitiv vorne dabei, wenn es darum geht, alles rational zu halten und meine Arbeit so weit zu optimieren, dass alles durchreflektiert und durchorganisiert ist. Ein wenig mehr Spielraum täte da sicher gut. Ich habe neulich irgendwo gelesen, ich meine, es war auch im „Jahrbuch für die Zukunft“, dass Spiritualität „das Leuchten der Augen und das Staunen, die Erfahrung des Wunderbaren“ ist (soviel zum Thema Wissenschaft: Ich habe Zitate rausgeschrieben ohne Quellenangabe …). Eine solche Form von Spiritualität möchte ich mir aneignen. Ja, es klingt sehr kalenderspruch-phrasen-haft, aber: Mehr das Besondere im Alltag zu sehen, genau das möchte ich, um all das Gute zu sehen, das trotz allem existiert. Und das wiederum kann radikale Hoffnung ermöglichen: „Radikale Hoffnung antizipiert ein kommendes Gut, das wir noch nicht zu denken vermögen – weil uns die Begriffe fehlen, mit denen wir es begreifen könnten“ (Jonathan Lear, „Radical Hope“, zitiert nach Papasabbas 2025, S. 116).
Zu diesen vier Punkten finde ich in der Zeit bis zum neuen Jahr sicher noch ein paar andere Neujahrsvorsätze. Da ich diese vier aber jetzt schon gefasst habe, möchte ich sie gerne hier mit Ihnen und Euch, liebe Leser:innen, teilen. Ich denke, unsere von Verlusten und Umbrüchen gekennzeichnete Welt könnte sicher ein wenig mehr radikale Zuversicht gebrauchen.
