Dieser Blogeintrag wird ein Rückblick auf die European Writing Centers Association’s Conference in Limerick, auf der ich diese Woche war. Ich war als Keynote Speakerin eingeladen und durfte den Eröffnungsvortrag halten, der unter dem Titel „Redefining Writing Centers in the Age of AI: Embracing Their Role as ‘Sponsors of Future Skills’ at Universities“ stand. Ich glaube, einige Zuhörende hätten mich nach der Keynote am liebsten gesteinigt – ich habe doch ziemlich provoziert, als ich die Frage aufwarf (natürlich aber auch eine mögliche Lösung präsentierte), wo wir uns als Schreibzentren in einer Welt positionieren wollen, in der früher oder später vielleicht gar nicht mehr geschrieben wird, sondern in der andere Formen der Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse existieren werden.
Heute Morgen war ich noch bei einem Vortrag, in dem die Vortragende sagte, dass das Schreibzentrum an ihrer Universität ein Ort des Zusammenkommens, ein Ort des Austauschs unter Studierenden ist, ein Ort, an dem Zugehörigkeit gestiftet wird (sense of belonging) und Studierende ermutigt werden. Aus diesem Grund sehe sie keinerlei Bedrohung von Schreibzentren durch KI, da KI diese Funktion nicht ersetzen könne. Die Kollegin war aus den USA und für sie und ihr Schreibzentrum (und wohl auch viele andere Schreibzentren in den USA) mag dies sicherlich stimmen. In Deutschland sieht das aber anders aus. Natürlich sind auch hier die Schreibzentren unterschiedlich – aber ihre Wahrnehmung ist doch häufig eine andere. In einem Land, in dem Hausarbeiten einen ganz anderen Stellenwert haben bzw. ganz anders aufgebaut sind als etwa in den USA mit ihren composition courses, student essays etc. werden Schreibzentren über kurz oder lang m. E. als ‚Relikte‘ aus einer ‚alten‘ Zeit angesehen werden. Wenn Studierende zunehmend auf generative KI zurückgreifen und sich hier zudem noch als kompetente Nutzende sehen (obwohl sie das vielfach (noch) nicht sind), warum sollten sie dann noch ins Schreibzentrum gehen? Ich weiß, dass dies ein düsteres Bild sein mag. Ob realistisch oder nicht, vermag ich nicht einzuschätzen, da natürlich auch ich nicht in die Zukunft schauen kann. Ich glaube aber, dass wir noch viel, viel mehr Aufklärungsarbeit darüber leisten müssen, warum wir am Schreiben festhalten. Warum durch das Schreiben viele andere, unabdingbare akademische Kompetenzen gefördert werden. In der Schreib-Bubble ist das natürlich common ground-Wissen und kann im Schlaf heruntergebetet werden. Aber für viele Fachlehrende etwa ist dies ganz und gar nicht klar. Und solange wir diese, unsere Position nicht noch viel vehementer nach außen tragen, fürchte ich wirklich um unsere Abschaffung …
Nach diesem kurzen inhaltlichen Kommentar möchte ich nun aber auf die Metaebene gehen. Und zwar möchte ich zwei Beobachtungen teilen, die allerdings auf gar keinen Fall nur auf diese Konferenz zutreffen. Das eine ist die Sache mit der Bewegung. Wer schon länger diesen Blog verfolgt, weiß, dass ich inzwischen eine große Anhängerin von bewegter Hochschullehre bin bzw. generell von Embodied Cognition. Dies war nun meine erste Konferenz, seit ich ‚bekehrt‘ wurde und gemerkt habe, wie wichtig es ist bzw. wie gut es mir tut, mich regelmäßig während des Arbeitens zu bewegen und kaum je mehr als eine halbe Stunde am Stück zu sitzen. Bei manchen Konferenzen gibt es ja inzwischen zumindest schon kleine Bewegungseinheiten zwischendurch, allerdings nicht bei der EWCA. Und so war es dann gut möglich, dass man auch mal zwei Stunden am Stück einfach saß und zuhörte. Unsere Gehirne bekamen also Nahrung, unsere Körper wurden völlig ignoriert.
Und überhaupt, dieses Sitzen mit frontaler Ausrichtung. Auch an der University of Limerick, zumindest in den Räumen, in denen ich war, war es so, dass es eine Frontalbestuhlung gab und alles nach vorne hin ausgerichtet war. Während der Konferenz gab es zwar auch mal Diskussionseinheiten oder Workshops, aber das meiste waren doch Vorträge. Wir als Forschende und Lehrende haben also genau die Atmosphäre ko-konstruiert, die wir für unsere Studierenden gerade nicht wollen: dass sie nämlich nur passiv, nur rezipierend teilnehmen, jedoch kein aktives Sich-Einbringen möglich ist. Ich finde das so traurig, weil wir als Lehrende doch eigentlich vorleben sollten, wie man es auch anders machen kann. Auf der anderen Seite weiß ich natürlich auch, dass die räumlichen Gegebenheiten vor Ort oft wenig anderes zulassen (oder nur mit großem Aufwand). Und natürlich weiß ich, dass Konferenzen immer noch so ausgelegt sind, dass man sein Paper in 20 Minuten vorstellt, noch kurz diskutiert und das war es dann schon. Interaktion, eines der wichtigsten lernförderlichen Elemente, findet eigentlich nur in den Kaffeepausen statt – also am Rande der Konferenzen.
Das andere, was ich sehr auffällig fand, waren die Folien der Vortragenden. Auf den meisten Folien befand sich wahnsinnig viel Text. Ganze Sätze, schwarze Bleiwüsten. Foliengestaltung also, wie sie absolut nicht lernförderlich ist. Aber auch wir als Forschende und Lehrende sind doch auf Konferenzen, um neue Sachen zu lernen. Dies wird durch eine solche Foliengestaltung allerdings sehr erschwert. Natürlich weiß ich, dass Präsentationen auf Konferenzen oft Präsentationen von Papern sind, die man schon geschrieben hat. Da liegt es sicherlich nahe, ganze Sätze zu verwenden, die man ohnehin schon mal geschrieben hat. Aber genau hier können KI-Tools uns helfen. Es gibt inzwischen wirklich tolle Tools, zum Beispiel Gamma, wo man einfach sein Paper hochladen und dann angeben kann, dass man nur ganz kurze Stichpunkte auf den Folien haben möchte. Hier war ich überrascht, dass niemand von den Vortragenden, denen ich zugehört habe, auf solche KI-Tools zurückgegriffen zu haben scheint. In dem Kontext fiel mir auch auf, dass andere Konferenzteilnehmende häufig meine Folien gelobt haben. Wahrscheinlich lag dies daran, dass sie nicht mit Powerpoint, sondern KI-basiert erstellt wurden.
Am Ende möchte ich nochmals auf die inhaltliche Ebene zurückkommen und noch ein ganz praktisches Learning teilen, das ich auf der Konferenz hatte. Im Workshop von Griet Coupe und Tim Wiesner vom Radboud Writing Lab ging es darum, wie ChatGPT und Co. in der Arbeit von Peer Tutor:nnen am Schreibzentrum eingesetzt werden können, also in konkreten Schreibberatungen. Die Vortragenden hatten für uns einen Text vorbereitet, der von einem Studenten oder einer Studentin kam. Wir sollten während der Session ein Rollenspiel machen. Eine Person spielte die Studentin, eine Person die Beraterin und eine Person war die Beobachterin. Das Szenario war wie folgt: Die Studentin hatte ein Essay geschrieben, auf das sie von ihrem Supervisor das Feedback bekam, dass der Text zu wirr ist, keinen roten Faden hat und viel zu viele Themen aufgemacht werden. Wir hatten die Aufgabe, den Text ChatGPT zu geben und ChatGPT darum zu bitten, eine Reverse Outline zu erstellen. Ich fand diese Idee, genKI einzusetzen, toll: Das Erstellen einer Reverse Outline durch ChatGPT funktionierte so gut, dass die Themen, die im Text völlig inkohärent zusammengewürfelt, strukturiert herausgearbeitet wurden.
An dieser Stelle doch noch einmal ein Kommentar auf der Meta-Ebene: Allein dadurch, dass ich diese Einsatzform von ChatGPT in einem Rollenspiel ausprobiert habe (ich war die Studentin), konnte ich mir diese Methode mit ihren Vorteilen viel besser einprägen, als wenn ich nur in einem Vortrag davon gehört hätte. Ich fände es großartig, wenn es viel mehr solcher hands-on-Ausprobierformate auf Konferenzen geben würde. Nicht nur Studierende profitieren davon, sich Themen, Methoden etc. selbst zu erarbeiten, sondern auch wir als Lehrende und Forschende. Immerhin sind ja auch wir Lernende – warum also unsere Lehrmethoden nicht auch für unsere Peers anwenden?